Gründe für diesen Font |
BildschirmdarstellungAn der technischen Darstellung insbesondere von o/O caudatum (nebst allen weiteren Spezialgraphemen) dürften seit Erfindung der Schreibmaschine Generationen von Altnordisten verzweifelt sein. Während für den Druck eigens Bleisatzlettern hergestellt werden konnten, mußte man sich hier mit lästigen Tricks behelfen. So wurde denn auf das o/O zurückgerückt und ein typographisch unkorrektes Komma daruntergesetzt, ähnlich wie man sich ein (nur kleines) þ aus b und p zusammendrosch. Ein Þ war nicht zu bewerkstelligen, und auch noch am Zeilenrad zu drehen, um eine Art ð zu erhalten, war für längere Texte derartig umständlich, daß man ein ordinäres o/O oder d tippte und später mit einem Stift die Ergänzung vornahm. Pfiffigere Geister schafften sich gleich eine isländische Schreibmaschine oder einen entsprechenden Kugelkopf an und umgingen so zumindest einen Teil des Dilemmas. |
Das ZeichensatzproblemDas Aufkommen des PCs war zunächst eher ein Rückschritt. Theoretisch war spätestens mit dem ASCII-Zeichensatz (korrekterweise: Zeichensätzen) fast alles an sogenannten Sonderzeichen verfügbar; sie zu erhalten wurde dem Anwender unter DOS jedoch selten leichtgemacht, was wiederum entweder erneut zu typographischen Krücken führte oder ein unangemessenes Wissen in Systemkonfiguration erforderte. Windows und der ANSI-Zeichensatz (auch hier eigentlich: Zeichensätze) schufen endlich eine vernünftige Grundlage. Der vorgegebene Sonderzeichenaufruf in Word war zwar recht abstrus, da aber die Tastaturbelegung frei veränderlich wurde, ließen sich alle gewünschten Sonderzeichen inviduell zuordnen, wie etwa þ zu [Alt] oder [Strg] + t. Dumm nur, daß es immer noch kein o/O caudatum gab. (Anmerkung: Einzelne Versionen von Times New Roman und Arial haben anscheinend o/O caudatum in ihrem erweiterten Unicode-Zeichensatz "Latin-Extended B", beispielsweise jene von Word 97. Dies gilt allerdings weder für alle MS-Office- noch alle Windows-Versionen!) Ein Exkurs: Recht lange war die Textverarbeitung WordPerfect marktführend, bis diskussionswürdige Marketingstrategien Word zum Quasi-Standard machten. WP blamierte sich gleichwohl mit der verwanzten Version 6.0 (die auch in 6.0a kaum besser wurde), woraufhin als letztes 16-Bit-Programm die Auflage 6.1 bei Novell herauskam. Hernach ging WordPerfect an Corel, wo man eine 32-Bit-Suite (mit einem miesen WP 7) bastelte und erst ab der Nummer 8 wieder ernstzunehmen war. Zuletzt konnte Corel/WP auf dem Linux-Sektor wieder punkten, hat aber schwere Konkurrenz durch Star-Office. Grund für dieses Abschweifen ist die eigentlich hervorragende Philologenfreundlichkeit von WordPerfect (und eine starke Layoutfähigkeit), das ausgerechnet in der eigentlich veralteten Version 6.1 am stärksten erscheint. WP kam stets mit einer Vielzahl von Sonderzeichen und einzelnen Diakritika daher, die sich ohne weiteres zu neuen Graphemen kombinieren ließen - fertig ist das o/O caudatum! Erstellte man ein kleines Makro und ordnete man es einem Shortcut zu, war das alte Sorgenkind plötzlich jederzeit verfügbar. Jederzeit verfügbar innerhalb von WordPerfect, wohlgemerkt, denn exportieren ließ es sich nicht - es sei denn auf dem Umweg über PDF, wofür aber der teure Adobe Acrobat fällig wurde -, und dritte Anwendungen standen nach wie vor außen vor. |
Der Altnordisch-FontDer einzig (einigermaßen) universelle Weg heißt TTF. Eine installierte Schriftart ist von allen installierten Anwendungen nutzbar, somit auch alle in ihr enthaltenen Sonderzeichen. Hierbei sind zwei Wege möglich: 1. Eine reine Symbolschriftart, die ausschließlich Sonderzeichen beinhaltet. Benötigte Zeichen werden aus ihr in den eigentlichen Text kopiert. Genauer: Ein bestimmtes Zeichen im Text wird mit dem bewußten Sonderzeichenfont formatiert und insofern mit demjenigen wiedergegeben, das sich an dieser Stelle im Schriftsatz des Sonderzeichenfonts befindet. Problem A: Der Sonderzeichenfont muß auch bei Weitergabe des Textdokuments vorhanden sein (kann durch Einbetten des TTFs gelöst werden). Problem B: Der Schriftschnitt des Sonderzeichens paßt möglicherweise nicht zu dem der Grundschrift des Dokuments (Lösung durch Weg Nummer 2). 2. Sonderzeichen werden hinzugefügt. Problem: welche? 256 Zeichen können aufgenommen werden, aber alle Positionen des ANSI-Zeichensatzes sind bereits belegt (einige wenige sind frei, dürfen aber - angeblich - aus technischen Gründen nicht genutzt werden; zu wenige sind es allemal). Hier zeigt sich das Dilemma, das allen Lösungen nach dieser Methode, von Leedsbit bis Reykjavík Times, innewohnt: Es müssen zwangsläufig scheinbar nicht benötigte Zeichen weichen, in der Regel typographische. Da es immer recht viele Zeichen sind, die ersetzt werden, nimmt die praktische Anwendbarkeit dieser Fonts proportional ab. Der Altnordisch-Font Old Norse 1/2 ist ebenfalls eine Lösung nach Methode 2. Der Unterschied ist lediglich, daß er ausschließlich o/O caudatum als Besonderheit enthält, und zwar (bei Old Norse 1) auf Kosten von 0153/™ (Trademark) bzw. 0174/® (registered). Diese beiden wurden ausgewählt, weil sie vermutlich am allerseltensten auftauchen dürften, im Gegensatz zu diversen Währungszeichen oder typographischen Auszeichnungen wie Kreuz und Doppelkreuz, die gerne im angelsächsischen Kreis für Fußnoten verwendet werden. Ansonsten kann Old Norse 1 vollkommen universell als Standardschriftart eingesetzt werden! Bei Old Norse 2 hingegen stehen o/O caudata an Stelle von ö/Ö, was für Texte gedacht ist, bei denen der Einfachheit halber diese Zeichen verwendet wurden - sie werden einfach und korrekt durch Anwenden von Old Norse 2 auf den Gesamttext bewirkt. |
Die Rettung? Unicode!Der einzig (wirklich) universelle Weg heißt Unicode, denn selbstverständlich ist auch Old Norse 1/2 nicht das Optimum. Unicode soll sämtliche Grapheme sämtlicher Schriften und Alphabete zur Verfügung stellen. Windows bringt bereits mehrere Unicode-TTFs mit, die eine beachtliche Größe besitzen: Arial Unicode ist über 23 MB groß gegenüber 135 KB bei der Normalversion. Der absolute Vorteil: Derartig definierte Zeichen sind auch in HTML eindeutig zu bezeichnen und können daher problemlos im Internet verwendet werden. Unicode 3.2 beinhaltet jedenfalls o/O caudatum, und zwar unter den Code Points 01EA (Majuskel) und 01EB (Minuskel)! Voraussetzung ist ein Unicode-Font, der nicht auf jedem System zwangsläufig vorhanden ist. Das große ABER: Mittelalterliche Grapheme sind ansonsten kaum berücksichtigt. Dies zu ändern hat sich MUFI, die Medieval Unicode Font Initiative, vorgenommen. Auf die Homepages von MUFI (http://www.hit.uib.no/mufi) und MENOTA (Medieval Nordic Text Archive - http://www.menota.org), hier insbesondere das englische Handbuch, sei ausdrücklich hingewiesen. |
21. 5. 2003 |